
Sexualkunde auf katholisch
Die Diskussion um den Sexualkundeunterricht an Schulen erhitzt die Gemüter auf allen Seiten. Und die Meinungen liegen weit auseinander. Während Schüler der gymnasialen Unterstufe in Berlin die Bedeutung von Darkrooms kennenlernen und in Rollenspielen ein Coming-Out üben, ringen in BaWü Befürworter und Gegner um einen Bildungsplan, der das Thema 'sexuelle Vielfalt' für den Unterricht vorsieht...
Eltern betrachten den Aufklärungsunterricht seit jeher mit gemischten Gefühlen. Manche befürchten eine zu frühe Sexualisierung ihrer Kinder. Dass schon Grundschüler durch die Medien mit entsprechenden Themen konfrontiert sind, lässt bei ihnen den Wunsch nach einem "Schutzraum Schule" laut werden. Andere halten indes dagegen, man dürfe sexuelle Aufklärung nicht dem Internet überlassen.
Das sagt die katholische Kirche
Wie aber ist die Haltung der katholischen Kirche? Die vatikanische Tageszeitung "Osservatore Romano" hat schon vor einigen Jahren deutlich gemacht: Der Vatikan befürwortet Sexualkunde an Schulen, sieht aber ein Problem, wenn dieser auf "technische Anleitungen zum Gebrauch von Verhütungsmitteln" reduziert wird. Der Unterricht müsse stärker mit ethisch-philosophischer, psychologischer und spiritueller Erziehung verknüpft werden.
Das entspricht dem Anliegen einer Arbeitshilfe des Erzbistums Köln, die im Mai bundesweit unter dem Titel "Den ganzen Menschen sehen – Eine Sexualerziehung der Achtsamkeit" beim namhaften Schulbuchverlag Schöningh erschienen ist. Bereits 2011 hatte die Diözese sie in geringer Auflage für Lehrer an katholischen Schulen herausgebracht. Sie sollte einen christlichen Mehrwert zu den kostenlosen Unterrichtsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bieten.
"Vorausgegangen waren viele besorgte Anfragen von Eltern zum Sexualkundeunterricht", erinnert sich die Schulrätin im Erzbistum Köln , Andrea Gersch. Sie hat die Arbeitshilfe gemeinsam mit Holger Dörnemann, Religionspädagoge und Leiter der Familienpastoral , und Elena Werner, verantwortlich für sexualpädagogische Programme als Referentin in der Ehe- und Familienpastoral, herausgegeben. "Bei vielen erhältlichen Materialien steht nur die biologische Seite der Aufklärung im Fokus. Was fehlt, ist eine Einbettung der Sexualität in alle dazugehörigen Lebensdimensionen", kritisiert Andrea Gersch. Jene greift die Arbeitshilfe nun ausführlich auf - in den fünf Kapiteln Gefühle, Liebesbeziehung, Fortpflanzung, Pubertät und Achtsamkeit.
Lehrer brauchen Unterstützung
"Die Sensibilität für sich und den anderen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Arbeitshilfe", sagt Elena Werner und das hebe sie von anderen ab. Dazu gehöre ebenso, den Schülern beizubringen, eigene Gefühle wahrzunehmen, wie alle Kinder in ihren jeweiligen Lebenssituationen anzusprechen.
Auch wenn diese nicht dem traditionellen Familienmodell entsprechen. "Es ist wichtig alle familiären Lebensformen sensibel in den Blick zu nehmen, ob es sich nun um die Kleinfamilie, um die Regenbogenfamilie mit zwei gleichgeschlechtlichen Eltern oder um Patchwork-Familien handelt", sagt Holger Dörnemann. Schon in der Bibel habe der Begriff Familie die gesamte Hausgemeinschaft gemeint - mit allen Mitgliedern, die sich dazu zählten. Es sei wichtig, jedes einzelne Kind wertschätzend anzunehmen, egal woher es kommt.
Um die Sexualkundelehrer bei ihrer Arbeit zu unterstützen, bietet die Arbeitshilfe viele Materialien und Vorlagen an. "Lehrer sind oft unsicher, wie sie das Thema angehen sollen und schieben es auch aus Scham vor sich her, obwohl sie eigentlich mit Schülern der dritten Klasse beginnen sollten", erklärt Elena Werner. Erschwert werde die Situation durch fehlende Richtlinien für den Sexualkundeunterricht. Und an dieser Stelle zeigt die Arbeitshilfe einen Königsweg auf.
Neben Leitfäden für den Unterricht gibt es auch einen Vorschlag für einen Elternabend zum Thema. Denn eines hat die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt: Gute Elternarbeit der Schule ist das A und O, wenn es um Sexualkunde geht. Dass Aufklärung keine Privatangelegenheit ist, kann man seit 1968 in den "Empfehlungen zur Sexualerziehung in den Schulen" der Kultusministerkonferenz nachlesen. Holger Dörnemann wehrt sich gegen aktuelle Strömungen, die sich die 1950er Jahre zurück wünschen. "Sexualkunde ist nicht nur Elternsache! Wenn man sagt, Sexualerziehung gehört nicht an die Schule, kann man auch sagen, wir brauchen keine Identitätsbildung, wir brauchen keine Schule."
Trotzdem kann der Unterricht nur gelingen, wenn man die Eltern mit ins Boot nimmt. Und das ist gar nicht so einfach, so die Erfahrung der ehemaligen Rektorin Andrea Gersch. "So still ist es bei Elternabenden nie, wie in dem Moment, in dem man das Thema Sexualkunde anspricht." Um allen Beteiligten die Sprache und eine gewisse Lockerheit wiederzugeben, bietet die Arbeitshilfe einen Cartoon als Kopiervorlage an. "Das wirkt dann meistens", schmunzelt Andrea Gersch. Ebenso, wie Kinder-Fragen zum Thema zu präsentieren.
Was Grundschulkinder bewegt
"Wie entsteht Liebe?", "Haben Mädchen, die acht sind, schon eine Eizelle?" oder "Wieso haben die Jungen zwischen den Beinen etwas anderes als Mädchen?", das sind einige echte Fragen, die schon Grundschulkinder bewegen. Mit letzterer befasst sich das Kapitel Pubertät, das die Kinder auf eine Insel der körperlichen Entwicklung führt. Zu diesem Thema gehört auch das Kapitel Achtsamkeit, das sich der Identitätsentwicklung von Jungen und Mädchen widmet. "Wer bin ich, ist eine der großen Fragen, wenn sich ein Kind entwickelt", erklärt Holger Dörnemann. "Es ist wichtig, dass sich Kinder bewusst mit den Veränderungen auseinandersetzen und eine positive Beziehung zu ihrem Körper bekommen - und eine Geschlechtsidentität entwickeln." Das gelinge jedem Kind unterschiedlich, je nach Umfeld, familiären Rollenvorbildern und inneren Anlagen.
Das Kapitel Achtsamkeit greift mit Blick auf sexuellen Missbrauch auch die Frage auf "Wozu sage ich Nein?" Für Befürworter der Sexualkunde ein wichtiger Aspekt, um die Kinder sprachfähig und wehrhaft zu machen. "Bei der Identitätsentwicklung geht es auch um die persönliche Würde und die eigenen Grenzen", erklärt Holger Dörnemann. Die Schüler sollen daher auch über Fallbeispiele diskutieren, etwa: "Wie reagiere ich, wenn eine Tante oder ein Onkel mit mir baden will?"
Bei Verdachtsmomenten besonnen reagieren
"Nein sagen ist unendlich wichtig, das müssen Kinder lernen", macht Holger Dörnemann deutlich. Wer Grenzen setze, markiere damit die eigene Unantastbarkeit. Aufklärungsunterricht sei auch deshalb Aufgabe der Schule, weil "Familien eben auch Orte von sexuellem Missbrauch sein können." Es braucht eine hohe Sensibilität der Lehrkräfte, und bei Verdachtsmomenten ist es wichtig, besonnen zu reagieren. Eine kollegiumsinterne Fortbildung zu diesem Thema sei immens wichtig und jedes Agieren in einem konkreten Fall bedürfe der Abstimmung mit einer Beratungsstelle, um Kardinalfehler zu vermeiden, so Andrea Gersch.
Die Gefahr, Kinder im Grundschulalter zu früh mit dem Thema Sexualität zu konfrontieren, sehen die drei Experten nicht. Wichtig sei, die Jungen und Mädchen nicht zu überfordern, sondern ihre Fragen aufzugreifen. So könne man ihnen da begegnen, wo sie stehen, ohne sie mit Wissen zu belasten, für das sie noch nicht bereit sind. "Als Einstieg könnten die Kinder zum Beispiel eigene Babyfotos mitbringen und die Geschichte ihrer Geburt erzählen", schlägt Elena Werner vor.
"Zu Beginn des Unterrichts kommen oft typische Schlagworte im Jugendjargon, die die Kinder irgendwo aufgeschnappt haben", hat Andrea Gersch erlebt. Das echte Wissen über Sexualität sei aber ganz unterschiedlich ausgeprägt und reiche vom informierten Hebammen-Kind bis zu Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen, die auf engem Wohnraum so einiges mitbekommen. Die Erfahrung zeige aber, dass sie alle dankbar für ein offenes und persönliches Gespräch sind. "Dann werden sie still und hören konzentriert zu."
Von Janina Mogendorf
© katholisch.de
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Kapitel
1) Gefühle bringen in Bewegung
2) Elterliche Liebesbeziehung
3) Der Weg zu neuem Leben
4) Mädchen und Jungen im Wandel
5) Achtsam sein mit sich selbst und anderen
Herausgeber: Erzbistum Köln, Schöningh-Verlag, Paderborn, Mai 2014
Zugelassen für alle Bundesländer
ISBN: 978-3-14-013155-1, Preis: 19,95 Euro